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Kapitel Die neuen Störungen Rank and Yank
Der Autor kritisiert die Wissenschaft,in der er selbst tätig ist: die psychische Diagnostik.
Im Gegensatz zur normalen medizinische Diagnostik ist sie weder zuverlässig, noch valide. Welche Krankheit diagnostiziert wird, hängt vom gewählten
Handbuch ab (Zuverlässigkeit). Ausserdem werden Symptome mit Krankheiten verwechselt (Validität). Dies führt zu Zirkelschlüsse. Der Autor erkennt,
dass im wichtigsten Lehrbuch mit jeder Auflage die Zahl der möglichen Störungen stark zunehmen. Je mehr man Menschen als krank erklärt, desto mehr
Pillen kann man verkaufen.
Entscheident für den psychischen Gesundheitszustands der Bevölkerug ist nicht die Qualität des Gesundheitswesens,
sondern die sozialen Verhältnisse.
Die Frage wer psychisch krank ist, hängt von den Normen ab, die in der Gesellschaft gelten. wenn finanzieller Erfolg und Konsum als Norm gilt, besteht die Gefahr all die nicht erfolgreichen einfach als krank abzustempeln. Dass fiananziell erfolgreiche Menschen auch psychisch krank sein können, scheint uns widersprüchlich. Die psychologischen Therapien dienen häufig lediglich als Disziplinierungsmassnahmen.
In diesem Kapitel kritisiert der Autor seine eigene Wissenschaft - die Psychiatrie
Definition Rank and yank
Managemenent Methode,
in der die Mitarbeiter bewertet und in gegenseitiger Konkrurrenz gebracht werden.
Die schlechtesten werden gekündigt - auch wenn diese die Anforderungen grundsätzlich genügen
Unterkapitel Paradigmengläubigkeit versus kritische Wissenschaft
In der diagnostischen Medizin gibt es zwei Eigenschaften, die in der psychischen Diagnostik nicht zutrifft.
- Zuverlässigkeit - Dies heisst dass verschiedene Ärzte anhand derselben Symptombeschreibung zur selben Diagnostik gelangen.
- Valide - Eine Diagnose verweist überzeugend auf etwas, was in der Wirklichkeit Bestehendes verweist.
In der Psychiatrie gibt es zwei vrschiedene Strömungen, die gegensätzlich sind.
Die erste Strömung ist kontextabhängig und sagt aus dass identische Symptome und Verhaltensweisen je nach Umfeld anders zu interpretieren sind. Dies zwingt den Psychiater sich mit dem Milieu zu beschäftigen, in dem der Patient lebt.
Die zweite Strömung (das Krankheitsmodell) sieht das Umfeld lediglich als ein Faktor, der diesen Prozess in Gang setzt. Die Krankheit kann auf ein Etikett reduziert werden, und ist bei verschiedenen Patienten stets gleich zu behandeln.
Paul Verhaeghe scheint eher ein Anhänger der ersten Strömung zu sein. Allerdings ist scheinbar die zweite Strömung die dominante.
Das Buch ist 2013 herausgekommen. Ob die Aussage des Autors stimmt, sich ggf. inzwischen geändert hat oder sich auf sein Land (er ist Belgier) bezieht, mag Ich nicht zu beurteilen.
Ich war nach meinen Schlaganfall in der Entlassung aus der stationären REHA dauerhaft als arbeitsunfähig, geschrieben. ich hatte damit ein Problem, denn ich wollte nicht in die Frührente.
Ich besuchte deshalb, eine Psychotherapeutin, in der Hoffnung sie würde die Diagnose arbeitsunfähig rückgängig machen und mich wieder gesund schreiben. Sie hat mich zwar nicht gesund geschrieben, aber mir einen Weg gezeigt wie Ich ggf. wieder arbeitsfähig werde. In der Behandlung hat sie bei mir eine negative Grundstimmung erkannt, aber dabei gemeint dass dies in meiner Situation vollkommen normal ist. Ich persönlich halte es für selbstverständlich dass Menschen, die negative Erfahrungen gemacht haben anders reagieren und deswegen nicht gleich als krank erklärt werden können.
In meinen Fall hat die Psychologin eindeutig kontextbezogen, und nicht nach dem Krankheitsmodell, argumentiert.
Paul Verhaeghe wirft der Psychiatrie vor, dass sie Symptome zu Krankheiten erklärt, und somit zu Zirkelschlüsse neigt. Ein Beispiel ist ADHS. Ein zuwenig an Aufmerksamkeit und ein zuviel an Aktivität wird zu einer Krankheit erklärt. Jemand ist unaufmerksam (AD) und hyperaktiv (HS) weil er ADHS hat. In der heutigen Version des Krankheitsmodells, stoßen wir ständig auf Zirkelschlüsse, die lediglich die Illusion einer wissenschaftlichen Erklärung bieten.
Der Autor verweist auf 2 verschiedene Handbücher.
- Das DSM (Diagnostic and Statistical Manual for Mental Disorders)
- und das von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen ICD (International Classification Diseases)
Legt man das DSM zugrunde, wird bei Kindern doppelt so häufig ADHS diagnostiziert wie bei der Heranziehung des ICD, und zwar ausschließlich deshalb weil das ICD Symptome anders klassifiziert.
Die Wahl eines bestimmten Handbuchs entscheidet also darüber, ob Ihr Kind gestört ist oder nicht, und nicht zu vergessen, ob es Arzneimittel schlucken muss oder nicht.
Sowohl die Zuverlässigkeit, alsa uch die Validität der heutigen Psychodiagnostik ist also gering.
Der Autor sieht 2 Gründe warum sich kaum jemand deswegen wehrt.
- Ein dominantes Paradigma (gemeint ist das Krankheitsmodell) führt zu blindem Glauben
- Krankheitsmodell spricht die Betroffenen zunächst frei für Schuld. Allerdings ist die Erleichterung nur von kurzer Dauer, denn das dominante Denkmuster (der Mensch ist machbar, wenn er sich anstrengt) verurteilt sie so oder so.
Der Autor spricht von einer Etikettierwut. Er stellt fest, dass sich beim Standardlehrbuch DSM mit jeder Auflage die Zahl der Krankheiten stark zunehmen.
Unterkapitel: Psychische Störungen als soziale Probleme
Paul Verhaeghe stellt fest, dass Psychodiagnostische Krankheiten auf soziale Normen beruhen, auf dem, was innerhalb einer bestimmenten Gesellschaft als akzeptabel gilt oder eben nicht.
Unterkapitel: Extra Ungleichheit - ein Totschlagarument?
Paul Verhaeghe verweist auf bahnbrechenden Studien des britischen Gesundheitssoziologen Richard Wilkinson. Dieser hat nachgewiesen dass Neoliberalismus krank macht. Als Massstab für Neoliberalismus hat er das Einkommensgefälle in Staaten und Städten genommen. Die Ungleichheit hat Einfluss auf nahezu alle Gesundheitsparameter.
Die Konsequenzen der zunehmenden Ungleichheit betreffen nicht nur die psychischen Störungen. Nichts macht kränker als Ohnmacht und Hilflosigkeit.
Die negative Effekte sind statistisch in allen Bevölkerungsschichten nachweisbar, weshalb der Untertitel von Wilkinson zweiter Studie lautet Warum gerechte Gesellschaft für alle besser sind.
Unter Hartz IV leiden nicht nur die Betroffenen, sondern erzeugt Ängste und Stress der gesamten (auch gehobenen) Mittelschicht. Auch die Oberschicht, die scheinbaren Gewinner leiden unter der Ungleichheit. In meinen Augen ist z.B. Karl Theodor von Guttenberg psychisch krank. Da er eindeutig zur finanziellen Elite gehört, spürt er natürlich den Druck, dass seine Ergebnisse überdurchschnittlich sein sollten.
In einem Wohlstandsgebiet wie Westeuropa ist nicht die Qualität des Gesundheitswesens (die Anzahl der Ärzte und Krankenhäuser) für den Gesundheitszustand der Bevölkerung ausschlaggebend, sondern die Beschaffenheit des sozialen und wirtschaftlichen Lebens. Je besser die sozialen Verhältnisse, desto höher das Gesundheitsniveau.
Unterkapitel Psychische Störungen als moralische Störungen
Die Merkmale, anhand derer jemand mit dem Etikett gestört bedacht wird, haben stets etwas mit der Nichterfüllung gängiger gesellschaftlicher Erwartungen zu tun. Die heutige Gesundheitsnorm heißt Erfolg, der ausserdem finanziell und materiell sichtbar sein muss.
Die Vorstellung, dass ein erfolgreicher und von allen bewunderter Yuppie, der säckeweise Boni einheimst, abends mutterseelenallein in seinem Loft hockt und sich mit Pillen, Alkohol und Internetsex aufputschen muss, stellt sämtliche Erwartungen auf den Kopf.
Erschüttert war Ich als Ich von dem Selbstmord von Robin Williams erfahren habe. Dieser extrem gute Schauspieler (Club der toten Dichter und Mrs. Doubtfire) hatte vollkommen zu Recht extremen Erfolg und nicht nur mich sowohl zum Lachen als auch zum Weinen gebracht. Dass dieser Mensch so depressiv war, dass er sich selbst umgebracht hatte - war ausserhalb meiner Vorstellungskraft. Es hat mich gelehrt dass äusserer Erfolg und innere Ausgeglichenheit bzw. Zufriedenheit total unterschiedliche Dinge sein können.
War Bescheidenheit früher eine Tugend, so ist sie heute eine Abweichung
Heutzutage gilt derjeninige als erfolgreich, wer am meisten genießt, erfüllt die Norm am besten, wobei Genuss ausdrücklich an Konsum und an Produkte gebunden ist.
Das Buch ist vom Jahre 2013. Damals war die Klimaerwärmung, das Artensterben und Corona nicht im Mittelpunkt der Diskussionen. Ich hoffe es geschieht ein Umdenken. Wir dürfen nicht wieder zurück zu dem ungezügelten Konsum. Wie müssen so schnell wie möglich zu einer reinen Kreislaufwirtschaft wechseln, denn die Überlastung des Planeten ist ein Naturgesetz. Wirtschaftliche Gesetze sind änderbar, naturwissenschaftliche nicht. In Westeuropa konsumiert die Mittelschicht eigentlich nur noch um unser Wirtschaftssystem am laufen zu lassen, aber nicht mehr um die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Die finanziell schwächere Schicht möchte Ich dabei ausdrücklich herausnehmen. Meine eigene Meinung ist, dass Konsum als Erfolgskriterium die Gesellschaft zerstören wird.
Wenn Erfolg das Kriterium für eine normale Identität ist, dann wird Versagen zum Symptom für eine gestörte. Paul Verhaeghe beschreibt die Auswirkung auf die Schule. Psychische Störungen von Kindern wird mit Schulversagen gleich gesetzt, wobei der Autor befürchtet dass es am Ende nur hochbegabte und gestörte Kinder geben wird. Die "normalen" Kinder werden zum seltenen Gut.
Bei der Diagnostik geht es i.a. nie um die Probleme der Kinder, sondern die verwendete Begriffe blicken fast ausschliesslich die Probleme in den Vordergrund, die das Umfeld mit den betreffenden Kind hat. Vielsagend ist übrigens auch die Reaktion der Kinder und Jugendlichen selbst auf die Therapieangebote: Sie haken das Ganze immer öfter einfach ab, sie brauchen den "Psychoheini" nicht mehr, da sie intuitiv spüren, dass er eh nicht für sie da ist.
Paul Verhaeghe posutliert dass es keine ideologisch neutrale wertfreie Kategorie geben kann. Jede Einordnung in Kategorien verweist implizit oder explizit auf eine Rangordnung mit einer politischen und moralischen Bedeutung.
Hier sehe Ich eine Analogie zu Maja Göpel. Frau Göpel betont, dass jede Transformation in eine Zahl eine Werteentscheidung ist.
aul Verhaeghe stellt fest, dass der Grad zwischen geglückt und gestört sehr schmal ist. Das geforderte Selbstmanagement, ist in übertriebener Form, eine narzistische Persönlichkeitsstörung.
aul Verhaeghe widerspricht dem Eindruck dass die Menschen durch den Sozialstaat zu soft geworden ist. Das Bild des Schmarotzers, der den Sozialstaat ausznutzt ist gemäss einer Studie von Trudy Dehue falsch.
Der Soziologe Piet Bracke bestätigt es dass sich im Vergleich zu früher (Bezugspunkt ist leider nicht angegeben) die Zahl der Depressionen verdoppelt hat. und die Betroffenen empfinden dies als persönliches Versagen. Menschen, die aus strukturellen Gründen entlassen wurden, suchten die Schuld bei sich selbst.
Konkurrenzbetonter Individualismus, kombiniert mit der Pflcht zu grenzenlosem Genuss statt des früher einmal geltenden Gebots, sich zu beherrschen, ist tödlich für dauerhafte Beziehungen.
Unterkapitel Disziplinierung als Behandlung
Erziehungshilfe, Unterrichtsbegleitung, Psychotherapie, Familienberatung sind vor allem Medikalisierung psychosozialer Probleme. All diese Dinge sind zu einem Geschäft geworden, mit dem sich gutes Geld verdienen lässt. Der gemeinsame Nenner für diesen Markt heisst Disziplinierung.
Menschen mit psychischen Störungen werden heutzutage in erster Linie als sozial abweichend angesehen, und es fehlt nicht viel, um sie als kriminell abzustempeln.
Heute sitzen in den Vereinigten Staaten dreimal mehr Psychiatriepatienten in Gefängnissen als in pschiatrischen Einrichtungen, eine Rückkehr zu dem Niveau von 1840.
Im deutschsprachigen DSM wird das Wort zu extrem häufig benutzt. Alleinig bei der Beschreibung der BorderLine-Persönlichkeitsstörung steht mindestens 10 Mal entweder zuviel oder zuwenig. Ein gemäß einer impliziten sozialen Norm, auf deren Basis der Diagnostiker intuitiv erspüren muss,was noch akzeptabel ist und was nicht.
Das Zuviel muss beschnitten und das Zuwenig aufgefüllt werden, damit der Patient wieder den sozialen Normen entspricht.
Der Autor Paul Verhaeghe meint dass die vorherrschende Form der Psychodiagnostik und die damit verbundenen Therapien zeigen, dass der Psychobetrieb auf eine extrem schiefe Ebene geraten ist und in eine Praxis abzugleiten droht, bei der psychiatrische Diagnosen als Fangnetze funktionieren und dazu dienen, mittels eines pseudomedizinischen Ansatzes soziale Kontrolle auszuüben.
Unterkapitel Hallo hier spricht Vanessa, was kann Ich für sie tun?
Der Autor stellt fest, dass sich die psychologischen Therapien geändert haben. Vor den 70 Jahren war er wie heute in erster Linie disziplinierend und erzieherisch. Dann kam eine Phase, in der die Therapie sich extrem für den Patienten und gegen die Gesellschaft gewandt hat. Die Psychotherapie belehrte die Patienten, auf die Distanz zu den allzu strengen Normen und den damit verbundenen Schuld- und Schamgefühlen zu gehen.
Heute hat sich das wieder in das andere Extrem geändert. Der heutige Mensch ist in einer instabilen Umgebung aufgewachsen, in der so gut wie alles erlaubt und Konsum Pflicht ist.
Paul Verhaeghe erkennt einer Verflüchtigung der klassischen Ethik der Mäßigung.
Die Neoliberale Ideologie steht diesem entgegen um die vorgeschriebene Perfektion zu erreichen. Jeder von uns muss sich ständigen irgendwelchen Tests unterziehen, andauernd werden wir aufgefordert, an irgendwelchen Vorsorgeunterschuchungen Audits, Screenings und Prüfungen teilzunehmen, ausßerdem stollen wir uns ständig selbst bewerten (self assessment).
Die Befreiungspsychologen von früher übersahen, dass das Individuum auf die Gesellschaft mit ihren Normen und Werten unbedingt angewiesen sind. Die heutigen Disziplinierungspsychotherapeuten weigern sich einzusehen, dass das Individuum und seine Gesellschaft das Produkt dieser Gesellschaft sind. Ausnahmslos jede Gesellschaft macht sowohl krank als auch gesund.
Je nach Sichtweise kann diesselbe Person ein Märtyrer sein (religiöses Denkmuster), ein gefährlicher Irrer (medizinisches Denkmuster) und ein Terrorist (wirtschaftliches Denkmuster) je nachdem aus welcher Perspektive man es sieht.
Die Frage ist demnach nicht, ob eine Gesellschaft krank oder gesund macht. Die Frage ist viel mehr, wie eine bestimmte Gesellschaft Abweichungen definiert und was für Konsequenzen das hat.
Dabei ist es durchaus möglich dass eine Gesellschaft gegen ihre eigenen Grundlagen vorgeht. Dass eine Gesellschaft ihren eigenen Zusammenhalt zerstört. Paul Verhaeghe postuliert dass genau dieses momentan passiert.
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